(FIKTIVES) GESPRÄCH MIT MAREK SPELLDORF




Marek Spelldorf, als Sie Roderich Kowelski erdacht haben, gab es dabei Vorbilder?

Nun - Jeder Mensch, der ein Buch schreibt, wird erstmal den Anspruch auf Eigenständigkeit erheben. Das ist bei mir sicher nicht anders. Die Frage nach dem Vorbild würde ich daher verneinen, aber ich bekenne gerne, dass ich natürlich beeinflusst wurde und beeinflusst bin. Ich glaube, dass es auch gar nicht anders geht, denn schließlich lebt ein Buchautor wie jeder andere Mensch in der realen Welt; er – oder sie – liest, sieht und hört. Dabei kann es gar nicht ausbleiben, dass das Gelesene, Gesehene und Gehörte das eigene Schreiben beeinflusst, in Richtung Nachahmung, aber genauso in Richtung Abgrenzung.

Werden Sie bitte etwas konkreter, was heißt das in Bezug auf Ihre Figuren und Ihren Plot?

Nehmen wir mal Oberinspektor Derrick, auch wenn die Figur durch die SS-Vergangenheit seines Darstellers Schlagseite bekommen hat, wofür die Figur als solche allerdings nichts kann; den hatte ich durchaus im Sinn, als ich mit dem Schreiben anfing.

Was ich bei Derrick gut fand: Viel Kopfarbeit anstelle von Action und Geballere. Im Mittelpunkt die Offenlegung menschlicher Abgründe und das psychologische Schachspiel zwischen Derrick und den involvierten Protagonisten.

Nervig hingegen, vor allem beim späteren Derrick, die grenzenlose Tugendhaftigkeit und der stets überhochgestreckte moralische Zeigefinger. Zu sehr stilisiert – fast wie Old Shatterhand - als unbefleckter Ritter der Gerechtigkeit, zu fein der Zwirn, zu reinlich der Kragen, zu perfekt der Krawattenknoten.

Ist Roderich Kowelski Derrick und Anti-Derrick zugleich?

Bitte nageln Sie mich jetzt nicht zu sehr auf Derrick fest, aber es ist etwas dran an Ihrem Vergleich. Roderich Kowelski ist – ähnlich wie Derrick - ein Mann mit Instinkt, mit Gefühl für Menschen und die Spannungsfelder, in denen sie leben. Aber er ist nicht der Edelmann vom Polizeirevier, keine elegante Erscheinung, keine moralische Instanz und wahrlich kein strahlendes Vorbild, sondern ein Charakter, der nicht frei von Abgründen ist.

Kommt ein Krimiautor aus dem Ruhrgebiet an Horst Schimanski vorbei?

Ich habe über ihn nachgedacht, das gebe ich gerne zu. Und das Anarchische und Schnoddrige dieser Figur mag vereinzelt eingeflossen sein, ebenso das Unprätentiöse von Christian Thanner. Aber Duisburg-Ruhrort ist jetzt über 40 Jahre alt. Wenn man sich den Streifen heute anschaut, dann ist das eine Zeitreise in die Vergangenheit und nichts mehr, auf dass man heute noch ernsthaft aufbauen will und kann.

Weitere Einflüsse, die Sie gestehen möchten?

Abseits vom Krimi-Genre: Eine feine Prise Hank Chinaski. Der Rest ist dann aber wirklich Eigenleistung.

Roderich Kowelksi hat ein eher zynisches Menschenbild. Steckt da eine Weltsicht hinter?

Nein, es kommen doch auch andere Personen zu Wort. Ein Krimi-Plot im Ruhrgebiet ist nun mal keine Ostsee-Romanze auf Usedom, und der Mensch ist ein fragiles Wesen, anfällig für die Versuchungen von Anerkennung, Macht, Geld und Sex. Es sind diese Versuchungen, die in Kriminalität münden. Was sicher das Menschenbild derer beeinflusst, die sich täglich damit befassen.

Warum haben Sie sich keinen Verlag gesucht?

Vielleicht finde ich ja noch einen 😊.

Man darf sich nichts vormachen. Die Chance einen Lektor zu überzeugen, der jeden Tag diverse Manuskripte auf den Tisch bekommt, ist gering. Und auf der anderen Seite ist es heute viel einfacher und auch bezahlbarer geworden, ein Buch herzustellen und zu veröffentlichen, selbst wenn Sie nicht nur über das E-Book gehen, sondern auch drucken. Daher mache ich mich nicht von dem Wohlwollen eines Lektors abhängig, sondern versuche mich als Indie-Autor und sehe zu, wie weit ich damit komme. Klar wäre es toll, wenn ein Verlag auf das Projekt anspringt, aber es macht keinen Sinn darauf zu warten.

Marek Spelldorf ist ein Pseudonym, warum trauen Sie sich nicht mit Ihrem richtigen Namen?

Ich habe irgendwann ein Interview mit der Schriftstellerin Nina George gehört, die manche Bücher unter Pseudonym veröffentlicht. Sie sprach sinngemäß davon, dass man mit einem Pseudonym in Stille scheitern kann. Das fand ich sehr klug und nebenbei hübsch formuliert.

Ein zweiter Grund ist, dass ich mein Autorenhobby aus meinem bürgerlichen (Berufs)Leben so weit wie möglich heraushalten möchte.

Haben Sie Angst vor dem Verriss?

Nein, mit dem müsste ich leben. Der würde ja zumindest Aufmerksamkeit bedeuten, über die sich – in Anlehnung an Wolf Biermann - der eitle Künstler freut. Der Grund ist anderer. Wenn ich das unter meinem richtigen Namen veröffentlichte, würden eine dreistellige Anzahl von Freunden, Bekannten, Kunden und Kollegen haufenweise Fragen stellen und im Buch nach biographischen Spuren suchen, die es nicht gibt. Dazu habe ich einfach keine Lust.

Kann ein Autor denn Persönliches aus seinem Schaffen heraushalten?

Ja, zumindest sehr weitgehend. Ich schreibe ganz unterschiedliche Dinge. Ich habe an Konzepten und Texten für kirchliche Veranstaltungen mitgewirkt, ohne dass ich einer Kirche angehöre. Ich habe Songtexte für Sängerinnen geschrieben, ohne dass ich eine Frau bin. Ich habe Freunden und Freundinnen bei ihren Liebesbriefen geholfen oder ihnen Kontaktanzeigen formuliert, mit Erfolg übrigens. Ich habe diverse Geschichten für meine Kinder erfunden, genauso wie ich beruflich Präsentationen, Verträge, Werbetexte, Drehbücher und Produktbeschreibungen verfasse. Alles verschiedene Genres, wo man versucht, sich auf den Leser einzustellen. Eine fiktive Geschichte muss nichts mit Leben, Person und Einstellungen ihres Erzählers zu tun haben.

Das klingt etwas abgebrüht. Gibt es nicht doch eine Identifikation mit Ihren Figuren?

Nein. Zwar entsteht beim Schreiben ein emotionaler Bezug zu den Figuren, die man kreiert. Aber das ist keine Identifikation.

Es gibt also keinen Alter Ego?

Nein.

Auch keine Message?

Um Gottes Willen, nein!

Was ist dann das Ziel? Warum schreiben Sie?

Grund 1: Es macht Spaß. Den Spannungsbogen einer Geschichte zu gestalten ist eine schöne Herausforderung für die grauen Zellen. Und hinterher gibt es ein fertiges Buch, etwas was Bestand hat. Das macht Freude.

Grund 2: Ich hoffe, dass ich ein paar Menschen zu etwas – hoffentlich guter – Unterhaltung verhelfen kann. Und natürlich wäre ich glücklich, wenn es mir gelingt und mich entsprechende Rückmeldungen erreichen. Die ersten Reaktionen stimmen mich optimistisch.

Sie sind Indie-Autor und haben keinen Verlag hinter sich. Wie bringen Sie das Buch in den Markt?

Öffentlichkeitsarbeit auf allen möglichen Kanälen. Das braucht Geduld und sicher auch ein Quentchen Glück an der einen oder anderen Stelle. Ich werde lernen müssen, mich in sozialen Netzwerken zu bewegen. Bisher habe ich das vermieden.

Mittlerweile gibt es Ihre Krimis auch auf der Bühne?

Ja. Zumindest auf kleinen Bühnen. Wir hatten in diesem Herbst die ersten Veranstaltungen. Und ich glaube, dass die Zuschauer Spaß dabei hatten.

Sie lesen nicht selber. Warum?

Ich bin definitiv keine Bühnenpersönlichkeit und möchte auch aus den vorher genannten Gründen im Hintergrund bleiben. Daher freue ich mich sehr, dass ich den Dortmunder Schauspieler Carsten Bülow für eine Zusammenarbeit gewinnen konnte. www.carsten-buelow.com Ebenso freue ich mich, dass Max Maxelon mit seinem Cello unsere Veranstaltungen bereichert.

Was würden Sie einem ehrlichen, alten Hoeschianer sagen, der Ihnen vielleicht vorhält, die Ehre seiner alten Firma in den Dreck zu ziehen?

Zunächst bitte die Seite 192 lesen (bzw. im E-Book ganz hinten)

Darüber hinaus: Ich habe genug Kontakte und Erfahrungen in und mit deutschen Traditionskonzernen gemacht, die mir erlauben zu sagen, dass die angedeuteten Umstände nicht völlig realitätsfern sind. Natürlich waren nicht alle Männer bei Hoesch & Co. Schürzenjäger und Sexisten. Aber die Me-Too-Debatte kommt doch nicht von ungefähr, und das Thema ist wahrlich nicht neu. Erinnern Sie sich an ERGO, wo die erfolgreichsten Verkäufer als Incentive in Budapest einen spritzigen Abend mit käuflichen Damen verleben durften? Bei VW liefen ähnliche Dinge, nur um zwei Fälle zu nennen, die schon vor Jahren groß durch die Öffentlichkeit gingen. Und das waren doch nur Spitzen eines Eisbergs, der jetzt langsam auftaucht.

Ab wann würden Sie sagen, das Projekt Roderich Kowelski ist ein Erfolg?

Gute Frage. Ich tue mich schwer damit, eine Erfolgserwartung zu quantifizieren. Sicher wünscht sich jeder Autor Resonanz. Das gilt auch für mich. Aber ich bin ein bodenständiger Mensch und halte mich nicht für den neuen Stieg Larsson. Entsprechend realistisch sind meine Erwartungen. Wenn ich ein wahrnehmbares Feedback bekomme, dass Krimileser in Dortmund und Umgebung Roderich Kowelski als Bereicherung der lokalen Krimi-Landschaft ansehen, dann werde ich sehr zufrieden sein. Wie gesagt, die ersten Reaktionen machen Hoffnung.

Gibt es keine finanziellen Ziele?

Mir reicht es, wenn ich irgendwann schwarze Zahlen schreibe. Meinen Lebensunterhalt bestreite ich nicht vom Buchverkauf. Sollten wirklich Gewinne dabei entstehen, werde ich großzügig spenden.

An wen spenden Sie?

An kleinere Organisationen, bei denen ich nachvollziehen kann, was mit dem Geld passiert. Ganz toll finde ich die KANA Suppenküche in der Nordstadt. Ein super-engagiertes Team, was ich gerne regelmäßig unterstütze. Dann habe ich Projekte für die Trinkwasserversorgung in nepalesischen Dörfern unterstützt. Und die Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg, die 1989 zum Leuchtturm für Bürgerrechte und Demokratie geworden ist.

Der zweite Fall für Roderich Kowelski ist im Juli 2023 erschienen?

Ja. „Die gekreuzigte Göttin“. Eine Domina wird in ihrem Studio ermordet aufgefunden. In einer Pose, die völlig untypisch für ihren Berufsstand ist.

Sind weitere Kowelski-Fälle in Arbeit?

Auch das kann ich bestätigen: Für Fall drei und vier gibt es bereits die Konzepte und die Titel In „Zwischen Mondstern und gelber Sonne“ werden sich Roderich Kowelski und sein Team in das türkisch-kurdische Spannungsfeld begeben. Ganz anders der vierte Fall. Bei „Das Priesteropfer“ verschlägt es Roderich Kowelski in ein beschauliches Dorf im Münsterland. Kann übrigens sein, dass sich hier die Reihenfolge ändert. Mal sehen.

Gibt es einen anderen Krimiautoren, mit dem Sie gerne mal ein Bier trinken würden?

Einige.

Geht's etwas konkreter?

Jan Seghers und Max Bronski gehören dazu.

Zum Abschluss, verraten Sie uns Ihr Alter und etwas über Ihre familiäre Situation?

Im sechsten Jahrzehnt, zwei erwachsene Kinder, seit 10 Jahren mit einer gebürtigen Dortmunderin liiert, weswegen ich in dieser Stadt angekommen bin.




Dortmund im November 2023
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